Panorama Hirschbach
Panorama Hirschbach

03.12.2020 - Bedeuten mehr Einwohner geringere Abwassergebühren?

Nicht unbedingt! 

Jetziger Stand: Die Kläranlage in Hirschbach ist am Ende ihrer technischen Nutzungsdauer angekommen und muss erneuert werden. Zudem ist sie aufgrund der aktuellen Einwohnerzahl bereits an der Kapazitätsgrenze. Aufgrund des von der Stadt Glashütte geplanten neuen Wohngebietes und der damit höheren Einwohnerzahl soll die Kläranlage - unter Einsatz von Fördermitteln - größer dimensioniert werden. Die zusätzlichen Einwohner sollen nach Aussage des Bürgermeisters und einiger Stadträte zu einer Senkung der Abwassergebühren führen (vgl. u.a. SZ online vom 25.11.2020 „Baugebiet in Hirschbach ist vom Tisch“; Zitat: „Mehr Einwohner bedeuten geringere Gebühren.“).

Gebührenentwicklung: Üblicherweise investiert eine Gemeinde in eine neue Kläranlage und legt die Abschreibungen auf die Abwassergebühren bzw. -preise um. Tut sie das auf Basis von Wiederbeschaffungszeitwerten (nicht nur ursprüngliche Anschaffungs- und Herstellkosten), kann sie während der Betriebszeit die Mittel für die Re-Investition erwirtschaften. Aufgrund allgemeiner Inflation und aktuell enormer Baupreissteigerung wird die Re-Investition teurer sein, als die damaligen Anschaffungs- und Herstellkosten der Bestandskläranlage.

Anforderungen nach Einwohnerzahl: Entwässert die Kläranlage in ein ökologisch sensibles Gebiet (wie im Fall Hirschbach), kann die zulässige Rest-Fracht an ausgestoßenen Schadstoffen durch die Umweltbehörde reglementiert werden. Das heißt, sollen mehr Einwohner angeschlossen werden, die Belastung des Ökosystems aber gleichbleiben, muss die Kläranlage eine höhere Reinigungsleistung erzielen, um nicht mehr Schadstoffe als vorher in das Ökosystem zu entlassen. Dies erfordert weitergehende Technologien bzw. Behandlungsstufen, die die Re-Investition teurer machen.

Ursachen für Preisanstieg: Nach bisherigem Kenntnisstand betreffen die in Aussicht gestellten Förder-mittel nur die aufgrund des geplanten neuen Wohngebietes zusätzlichen Einwohner. Die Investitionskosten pro angeschlossenen Einwohner steigen jedoch bei erhöhten Anforderungen an die Reinigungsleistung auch für die Bestandseinwohner. Damit führen in unserem Fall (neben Inflation und Baupreissteigerung) die neu anzuschließenden Einwohner zu noch höheren Kosten für die Bestandseinwohner (eventuell erhöhte Betriebskosten im zukünftig laufenden Betrieb wegen zusätzlicher und eventuell komplizierterer Technologie noch nicht einmal berücksichtigt).

Möglichkeiten entgegenzuwirken: Nicht alle Teile der Kläranlage in Hirschbach sind technisch vollständig abgenutzt. Vor allem die Baukörper könnten (ggf. nach einer Sanierung der Betonoberfläche) weiterverwendet werden. Zudem hat sich die Technologie weiterentwickelt und es gibt Verfahren, die heute platzsparender eingesetzt werden können. Der Ersatzneubau der Kläranlage Hirschbach ist als kompletter Abriss und Neubau vorgesehen – ohne die Weiternutzung von Bestandteilen. Dies wird u.a. mit der hydraulischen Belastung begründet.

Aber auch dafür gibt es alternative Strategien: Ausbindung von Fremd- und Regenwasser aus der Mischkanalisation und sukzessiver Umbau zu einer reinen Schmutzwasserkanalisation mit den entsprechenden Vorteilen (gleichmäßigerer Volumenstrom ohne Regenwasserspitzen und dadurch gleichmäßigere Belastung der Kläranlage, konzentrierteres Abwasser mit spezifisch höherer Reinigungsleistung als regenverdünntes Abwasser, keine Mitbehandlung von nicht-behandlungsbedürftigem Regen- und Fremdwasser) und selbst ein Regenrückhaltebecken ist denkbar. Hier sollte anstelle eines reinen Ersatz- und Erweiterungsneubaus ein Gesamtkonzept des Entsorgungsgebietes unter Berücksichtigung der zukünftigen Entwicklung erarbeitet werden. Einerseits kann die Situation des vorgelagerten Kanalnetzes positiv beeinflusst werden (siehe z.B. Abrundungssatzung zur Zwischenspeicherung von Regenwasser und danach Ableitung in die vorhandenen Vorfluten).

Anderseits könnte ein Konzept zur Weiternutzung der Betonbecken mit zusätzlichen Technologien (mechanische Reinigung: Rechen und ggf. Sandfang vor der vorhandenen Vorklärung) kombiniert werden. Auch für den nachgelagerten sogenannten Schönungsteich könnte die Leistung durch Aufteilung in zwei Teiche bei gleichzeitiger Flächenvergrößerung und Belüftung des ersten Teiches mit z.B. mit Photovoltaik an-getriebenen Belüftern verbessert werden. Wenn diese ganzen Optimierungspotenziale untersucht und gehoben werden, können die Investitionskosten der zu erneuernden Kläranlage in Hirschbach merklich verringert werden, was sich in geringer steigenden Abwassergebühren widerspiegeln sollte.

Planungspraxis für Investitionen: Die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) sieht fixe prozentuale Kostensätze für Planungs- und Bauüberwachungsleistungen vor. Das heißt, hier gibt es einen Anreiz möglichst teuer zu planen, damit das Honorar entsprechend hoch ist. Gerade die neuen Bundesländer haben das nach der Wende schmerzlich erfahren müssen und leiden wegen der Gebühren- bzw. Preisbelastung noch heute darunter. Damit sind keine Anreize für wirtschaftliche Optimierungen oder Weiternutzung von Bauteilen gegeben. 

Fazit: Neu anzuschließende Einwohner machen die Abwassergebühren nicht günstiger, sondern absehbar teurer, da eine bessere Reinigungsleistung für ALLE angeschlossenen Einwohner notwendig wird. Der Einbezug einer in Aussicht stehenden Förderung für den Anteil neuer Einwohner wirkt hier lediglich preismindernd. Weitere Ursachen für einen Preisanstieg sind kompletter Rück- und Neubau statt Weiternutzung von Anlagenteilen, die Inflation und die massive Baupreissteigerung (Bsp. Sachsen: Steigerung für sog. Ortskanäle 2016 bis 2019 um 22,7 %, also ca. 7 % pro Jahr).

Lars Tennhardt
Dr.-Ing. Wasser- und Abfallwirtschaft

E-Mail mit Hinweisen an den BM vom 16.09.2020 als PDF

This article was updated on Dezember 3, 2020